1.
Die ersten Zugvögel waren bereits zurückgekehrt und hatten sich für den kommenden Sommer niedergelassen, die frischen Triebe der Laubbäume tauchten die Aulandschaft in ein saftiges Grün und das Wasser stand hoch. Es hatte viel geregnet und der Fluss brachte das braune Schmelzwasser aus den Bergen zum Meer, so dass die an den Fluss angrenzenden Wälder, Schilffelder und Wiesen überflutet waren. Die Alten meinten, es gäbe so viele Gelsen wie sonst nie um diese Jahreszeit, aber das sagten sie jedes Jahr.
Es war ein Frühlingstag wie jeder andere, als der Bagger gebracht wurde. Die Neuigkeit verbreitete sich wie ein Schilffeuer durchs Dorf, und alle kamen so schnell wie möglich zum kleinen Hafen. Die Läden wurden geschlossen, das Brot verbrannte in den Öfen und die Herdfeuer verglosten. Maniul, der örtliche Sicherheitsoffizier, kam mit einer halb fertig geschnittenen Frisur, rechts militärisch kurz, links länger und struppig, und der Dorffriseur Ovidiu hatte noch Kamm und Schere in den Händen. Erst am Pier starrte er sein Werkzeug kurz verwundert an, bevor er es in seine Hemdtasche steckte und wieder zu dem großen Transportschiff sah, von dem gerade der Bagger und ein kleiner Muldenkipper abgeladen wurden.
Einige Wochen zuvor waren die Bewohner auf einer großen Versammlung im Gemeindehaus informiert worden, dass ihr Dorf, nicht Lunisa am nördlichen Flussarm, nicht eine Stadt im wohlhabenden Norden, nein, ihr Dorf St. Stephen ausgewählt worden war für das Prestigeprojekt des Reiches. Niemand hatte es glauben können, niemand hatte eine Vorstellung gehabt davon, was passieren würde, einige waren skeptisch gewesen, und auch der Bürgermeister hatte keine Details gekannt. Aber in seinem besten Anzug, die nationalen Orden auf der dicken Brust, hatte er es stolz seinen Schützlingen verkündet: Nachdem bereits im Herbst eine Expertenkommission vor Ort gewesen war, um das Gelände und die Voraussetzungen zu prüfen, hatte er nun einen Brief aus der Hauptstadt bekommen, und somit war es offiziell beschlossen! Ein Raunen war durch die Menschenmenge gegangen, bis die ersten zögerlich zu Klatschen begonnen hatten, was schnell zu einem aufbrausenden Applaus, einem erleichterten Jubeln und Grölen geworden war. An diesem Abend hatten die Bewohner von St. Stephen gefeiert, selbstgebrannten Schnaps getrunken und phantasiert, wie sich alles ändern würde, wie der Fortschritt ihnen den Weg in eine glorreiche Zukunft bereiten würde.
Und jetzt: dieses Spektakel! Mit offenen Mündern und großen Augen standen die Kinder am Steg zwischen den Fischerbooten, und die Lehrerin hinter ihnen war nicht weniger beeindruckt und aufgeregt als sie. Der Bürgermeister rannte emsig hin und her, schüttelte die Hände der Ingenieure, der Vertreter des Politbüros und der Propagandaabteilung sowie die des Kapitäns, dankte ihnen mehrmals für diesen großen Dienst, den sie dem Dorf erwiesen und wischte sich mit einem spitzenverzierten Stofftaschentuch immer wieder den Schweiß von der Stirn. Gemeinsam mit dem großen, wegen der schweren Ladung tief im Wasser liegenden Transportschiff war auch die Fähre gekommen, nicht mittwochs, wie üblich, sondern an einem Montag! Sie hatte zuerst angelegt, so dass die Bauarbeiter und Techniker an Land gehen konnten. Jetzt wartete sie mitten im Fluss, den Bug stromaufwärts gerichtet, bis die Arbeiter auch die Einzelteile des großen Krans entladen hatten, damit das Transportschiff wieder den Rückweg antreten konnte.
Das Abladen dauerte mehrere Stunden und das Interesse der Bewohner war schnell wieder abgeflaut. Als die Maschinen, das Werkzeug und die Kisten mit Verpflegung mit einer Plane abgedeckt an Land waren und die Fähre, die erst am nächsten Morgen mit dem Politkommissar und einigen anderen staatlichen Vertretern zurückfahren sollte, schließlich wieder anlegte, dämmerte es schon. Der Bürgermeister saß mit seinen Gästen bereits beim Abendessen, bekocht von seiner Frau Alina und seiner Tochter Helene, und nur Maniul, dessen Haare inzwischen fertig geschnitten waren, und einige alte Männer standen zusammen am Pier, rauchten im Halbdunkel und schauten aufs Wasser hinaus.
Am nächsten Morgen, noch bevor sich der Nebel über dem Fluss verflüchtigt hatte, begannen die Arbeiter, die Maschinen und das Material zur Baustelle zu bringen. Als erstes packten sie die schweren, stählernen Kranteile auf alle verfügbaren Pferdewägen, pro Wagen nur ein Stück. Trotzdem schnaubten die Pferde und mühten sich ab, bis ihnen der Schaum aus den Mäulern tropfte. Aber auch wenn sie, angetrieben von den Rufen und Schlägen ihrer Besitzer und der Arbeiter, ihre Hufe mit aller Kraft in den sandigen Boden stemmten, kamen sie kaum voran, da die Räder versanken, und so wurde beschlossen, einen Anhänger am Bagger festzumachen und die Stützen so zu transportieren.
Der Bürgermeister war inzwischen mit seinen Gästen voraus zum Bauplatz gefahren. Es war ein karges Stück Land auf einer Kuppe am Strand, wertlos für die Einheimischen, steinig und voller Dornengestrüpp, so dass nicht einmal die Ziegen, die wie alle Haustiere frei im Dorf herumliefen und sich ihre Weideplätze selbst suchten, hierher kamen. Aber selbst, wenn es der fruchtbarste Acker des Dorfes gewesen wäre, hätte die Partei es nicht gekauft, sondern zugunsten des Fortschritts akquiriert. Während vier Männer begannen, das Gelände zu vermessen und die Umrisse des Zaunes abzustecken, der als erstes errichtet werden sollte, standen die Ingenieure, der Bürgermeister und die angereisten Politiker stumm beisammen, bis der Bürgermeister es übers Herz brachte und das Schweigen brach:
„Und, was gibt es Neues aus der Hauptstadt?“
Niemand antwortete.
„Wissen Sie, wir bekommen hier nicht allzu viel mit, einmal wöchentlich kommen zwar die Zeitungen, aber bis sie zu uns gelangen, sind sie schon alt. Der Radioempfang ist miserabel, und wenn das Wetter schlecht ist, hören wir überhaupt nur Rauschen. Und sowieso gibt es nur ein Gerät am Gemeindeamt und eines bei Maniul.“
Der Bürgermeister versuchte, Augenkontakt mit seinen Gesprächspartnern aufzunehmen. Die Ingenieure schauten den Vermessern zu und beachteten ihn gar nicht, und der Politkommissar blickte ihn scharf an, räusperte sich dann und begann in seinem schnorrigen Tonfall zu sprechen:
„Die Nation prosperiert mehr denn je zuvor! Die Speicher sind zum Bersten gefüllt! Die Massen stehen geschlossen hinter dem Volksführer! Sämtliche Widerstände, intern oder extern, wurden erfolgreich vom Dienst am Gemeinwohl überzeugt oder beseitigt!!“
„Hm, ja, gut, wir auch“, murmelte der Bürgermeister, und blickte etwas betreten zu Boden. „Ich meine, wir stehen auch geschlossen. Und wie! Die Speicher, ja, auch, …Der alte Fernant hat vorige Woche eine Kuh verloren, sie hatte sich verlaufen und ist im Sumpf stecken geblieben. Er hat sie erst ein paar Tage später gefunden. Es war seine einzige, wissen sie, aber wir halten zusammen…in diesen schwierigen Zeiten, mnja. Aber sonst, kein Grund zur Klage.“
Der Politkommissar schaute ihn entgeistert an, bevor er sich wortlos umdrehte und zu den Vermessern ging.
Im Dorf hatten sich währenddessen weitere Probleme ergeben. Das Gespann aus Bagger und Anhänger war zu lang und schwerfällig, um durch die engen Straßen vom Hafen zum Dorfrand zu fahren, so dass die Arbeiter kurzerhand beschlossen hatten, jene Gartenzäune einzureisen, die im Weg waren. Zum Wohle der Allgemeinheit und ohne mit lästigem Fragen Zeit zu verschwenden, drückten sie mit der Baggerschaufel die bunten Holzlatten nieder, bevor die Besitzer, sofern sie zuhause waren, Einwände erheben konnten.
Karim sah dies alles vom Fenster der Schulklasse aus. Die Schülerinnen und Schüler, eine Gruppe aller Altersstufen, die gemeinsam unterrichtet wurde, ließen sich an diesem Tag nicht beruhigen, weswegen ihnen die Lehrerin ihren Willen ließ und sie alle am Fenster standen. Er sah, wie die alte Carmen Zelica mit einem Besen bewaffnet herausstürmte und von zwei Arbeitern abgefangen wurde, wie sich die Männer unter ihren Schlägen duckten, bis sie die früher begnadete Sängerin, die nun für ihre Kuchen und Torten im ganzen Dorf und darüber hinaus bekannt und beliebt war, gebändigt hatten und zurück zum Haus brachten.
„Meinst du, sie bauen das alles wieder auf?“, flüsterte Anna, die neben ihm stand und gebannt hinaus starrte.
„Ich weiß es nicht“, antwortete er, und blickte ihr besorgtes Gesicht von der Seite an. Dann nahm er vorsichtig ihre Hand und drückte sie kurz, und sie erwiderte den Druck, so dass ein Schaudern durch seinen Körper zuckte und ihm ganz heiß wurde.
2.
In den nächsten Wochen gewöhnten sich die Menschen im Dorf an ihre Gäste. Die Arbeiter waren bei einzelnen Familien untergebracht, und jeden Morgen sammelten sie sich am Dorfplatz, warteten zigarettenrauchend, bis sie vollständig waren und marschierten dann gemeinsam durchs Dorf und durch den Sumpf zur Baustelle. Aber so wie das Wasser nach einiger Zeit auf seine normale Höhe zurückgegangen war, ebbte auch das Interesse der Einwohner an der morgendlichen Prozession ab. Die Zäune waren wieder notdürftig aufgebaut worden, und den Besitzern war höchstoffiziell eine Entschädigung versprochen worden, nachdem sie sich beim Bürgermeister beschwert hatten und er eine Anfrage an die Hauptstadt geschickt hatte.
Abends in der Kneipe saßen die Arbeiter und die Bewohner an getrennten Tischen – hin und wieder spielten sie zwar gemeinsam Karten, aber nur selten kam ein Gespräch zustande. Manchmal, besonders wenn sie am Wochenende Schnaps getrunken hatten, begannen die Arbeiter fremde Lieder zu singen, laut und falsch, dann zahlten alle Anderen und verließen zornig den Raum. Nur der Wirt beobachtete in solchen Fällen besorgt jede Bewegung, denn schon einmal war die Lage eskaliert, gleich in der ersten Woche, als sich ein paar Bewohner über den Lärm beschwert hatten und es zu einer Rauferei gekommen war. Francesco, der Wirt, hatte zuerst noch versucht, den Streit zu schlichten. Als er aber eingesehen hatte, dass es aussichtslos war, hatte er seine Frau Ernestine geschickt, um den Sicherheitsoffizier zu holen und war dazu übergegangen, die zerbrechlichen Gegenstände – Flaschen, einen Spiegel und die Gaslampe, aber vor allem Flaschen – in den Raum hinter der Theke in Sicherheit zu bringen. Als Ernestine endlich mit Maniul zurückgekommen war, er hatte bereits geschlafen und sich erst anziehen müssen, hatte sich die Rauferei bereits vor die Tür verlagert, wo etwa ein Dutzend Männer verstaubt und ächzend am Boden rangen. Maniul hatte kurz ratlos auf die Männer geschaut. Er war das erste Mal in einer derartigen Situation gewesen, denn im Dorf kam es kaum zu Streitereien, und wenn doch, so wurde selten jemand handgreiflich, und wenn doch dieser äußerst seltene Fall eintrat, dann regelten sie es unter sich, von Mann zu Mann oder von Frau zu Frau.
„Aufhören! Im Namen des Gesetzes, aufhören!“, schrie er schließlich nach kurzem Zögern, aber natürlich hörte niemand auf, sie beachteten ihn gar nicht.
„Tu doch was, du Sicherheitsoffizier, du!“, brüllte Ernestine, die ohne große Wirkung mit einem Stock auf die am Boden Liegenden einprügelte. Francesco stand daneben, die Hände in die Hüften gestemmt. Seiner Bar konnte nichts mehr passieren, ihn ging die Sache eigentlich nichts mehr an. Er musste nur achtgeben, dass niemand mehr hineinging und dort Schaden anrichten konnte.
„Ja doch, ja, was soll ich denn machen, verdammt!“, fluchte Maniul leise zischend, bevor er kurzerhand zu seinem Revolver griff und zweimal in die Luft schoss. Es war das erste Mal seit der Ausbildung, dass er die Waffe abfeuerte. Augenblicklich schauten alle auf. Die Arme noch um die schmutzigen Körper ihrer Gegner geschlungen oder zum Schlagen erhoben, erstarrten sie und blickten in die Richtung, aus der die Schüsse gekommen waren. Aber dort stand nur Maniul, und er konnte das doch nicht gewesen sein? Nicht Maniul, der schmächtige alte Mann, dessen Uniform inzwischen zwei Nummern zu groß war, weil er in den letzten Jahren immer mehr geschrumpft war, und der auf der Straße immer freundlich grüßte und manchmal sogar zwinkernd salutierte, wenn er Kindern oder jungen Frauen begegnete. Aber nun begann der Sicherheitsoffizier mit zitternder Unterlippe und bebender Stimme zu sprechen: „In meiner Fffunktion als Sicherheitsoffizier von St. Stephen ffordere ich alle auf, sofort aufzuhören! Wwwiderstand wwird bestraft! Das meine ich ernst, ich schsteck euch alle in den Knast! Steht sofort auf!“
Die Männer wussten zuerst nicht, was sie davon halten sollten, erhoben sich aber dann doch, manche lachten erleichtert und verwirrt, andere blickten zornig um sich und klopften sich den Staub aus den Kleidern. Maniul blickte sie alle streng an, und fuhr dann fort: „Ich möchte so etwas nie mehr sehen, hier bei uns! Diesen Vorfall werde ich nicht melden, aber in Zukunft! Da gibt es dann Folgen. Gebt auch die Hand! Los, sofort!“ Die Männer schauten sich murrend an und ein paar reichten sich schließlich halbherzig die Hände, ohne sich dabei anzusehen.
„Und jetzt verschwindet nach Hause und schlaft euren Rausch aus!“
Von diesem Tag an waren sich die Arbeiter und die Leute aus dem Dorf meistens aus dem Weg gegangen.
Karim war immer wieder zur Baustelle spaziert. Nach der Schule stand er zusammen mit anderen Kindern, selten einem Erwachsenen, oft stundenlang am hohen, mit Stacheldraht bewehrten Maschendrahtzaun und verfolgte die Arbeiten. Nachdem der Bagger eine Grube ausgehoben hatte, war ein Fundament gegossen worden, auf dem inzwischen ein kleines, achteckiges Haus stand. Dann war mit Hilfe des Baggers der Kran aufgebaut worden, der nun die hohen Metallstreben des Windrades Stück für Stück hinaufhob, wo sie mit unterarmlangen Schrauben befestigt wurden.
Eigentlich hätte Karim an diesem Nachmittag lernen sollen, denn morgen war eine wichtige Prüfung in Staatskunde, die letzte vor den großen Ferien. Aber nach der Schule fragte ihn Anna, ob er schon einmal beim Turm gewesen war, und schnell wurde Staatskunde zur Nebensache.
„Natürlich“ erwiderte er stolz, „ich bin fast jeden Tag draußen und weiß immer genau Bescheid, was passiert!“
Er wusste nicht, was er noch sagen sollte, und sah sie zögerlich an. Sollte er ihr anbieten, mitzukommen? Mit fragendem Blick stand sie vor ihm. Vom bunten, verwirrenden Blumenmuster auf ihrem Kleid wurde ihm ganz schwindlig, und er fragte sich, was sie wollte. Traute sie sich nicht allein hin? Aber es waren doch immer mehrere Kinder draußen! Wollte sie ausgerechnet mit ihm hingehen? Nein, unvorstellbar!
„Du bist also ein Turm-Experte?“
„Hmm, ja, das könnte man wohl so sagen…“
„Nimmst du mich heute mit, wenn du hinausgehst?“
Die Frage traf Karim wie eine Flutwelle, die mit voller Wucht über die Landschaft rollt. Er spürte, wie seine Knie weich und seine Handinnenflächen feucht wurden, und musste sich zusammenreißen, um japsend und mit gepresster Stimme zu antworten:
„Aber ja, natürlich, sollen wir gleich gehen?“
Anna überlegte kurz und wiegte ihren Körper ein wenig hin und her, so dass ihr Kleid Falten warf. Karim fand, dass sie sich elegant an ihrer graziösen Figur nach unten wanden.
„Nein, ich glaube, ich sollte zuerst nach Hause zum Essen, sonst macht sich meine Mama Sorgen. Treffen wir uns in einer Stunde wieder hier?!“
„Gut, in einer Stunde, natürlich!“
„Na dann, bis später!“, verabschiedete sich Anna, gab ihm einen Kuss auf die Wange und drehte sich um, bevor er noch etwas sagen konnte. Verträumt und ungläubig blickte er ihr nach, als sie über den sandigen Boden davonhopste.
Karim war hungrig, aber er konnte nicht nach Hause gehen. Dort würde er mit seinem kleinen Bruder gemeinsam im Garten arbeiten oder mit der Kuh auf die Wiesen außerhalb des Dorfes gehen müssen, und dann gäbe es kein Zurück mehr. Also setzte er sich dort, wo er stand hin und wartete. Ein Kuss! Er konnte es noch immer nicht fassen! Und was für einer! Und es hatte ihn gar nicht gestört. Ganz anders, als wenn die Großmutter ihn vorm Mittagsschläfchen mit ihren fleckigen Lippen küsste, die nach dem Essen immer nach Essig rochen, weil sie die Salatmarinade austrank. Nein, ein flüchtiges Küsschen, das er eigentlich kaum gespürt hatte, dessen Echo er aber noch immer vom Kieferknochen bis in die Augenhöhle wahrnahm. Wahrscheinlich würde seine Mutter später mit ihm schimpfen, wenn er nicht nach Hause kam, aber das war ihm jetzt egal! Was soll sie schon machen, dachte er sich. Ich bin alt genug, um selbst zu entscheiden, und ich muss mir von meinen Eltern nichts mehr befehlen lassen! Diese Blödiane! Während er sich immer mehr hineinsteigerte und sich über seine Eltern ärgerte, zeichnete er mit einem Zweig parallel geschwungene Linien in den Sand.
„Na, was grübelst du denn?“
Karim blickte erschreckt auf. Er hatte wohl einige Zeit den Boden angestarrt und nicht bemerkt, dass die alte Zelica vor ihm stand. Sie hatte gerade Unkraut gejätet und, vom Holunderbusch verborgen, die ganze Szene beobachtet. Jetzt stand sie breitbeinig vor ihm, die Hände in die Hüften gestemmt, einen zerfledderten Strohhut am Kopf, und fragte:
„Musst du nicht nach Hause?“
„Nein nein“, murmelte Karim, „heute nicht. Ich warte auf jemanden.“
„Achso“, schmunzelte die Zelica, „dann ist´s ja gut.“ Sie tat kurz so, als ob die Sache für sie damit abgehakt wäre, und wartete einen Moment, bevor sie weiterfragte:
„Auf wen wartest du denn? Auf einen Freund?“
„Nein; ich meine: ja, genau. Ich warte auf einen Freund, wir wollen zusammen lernen.“
„Aha. Lernen also. Na dann. Wie heißt dein Freund?“
Jetzt wurde es Karim zu viel. Was wollte sie von ihm? Wieso durchlöcherte sie ihn mit ihren Fragen! Die alte Schachtel sollte einfach ihren Garten weiter jäten, verdammt nochmal! Er sprang auf und schrie aufbrausend, so dass sich seine Stimme beinahe überschlug:
„Das geht dich nichts an! Lass mich in Ruhe!“
Wütend ging er die Straße hinunter Richtung Hafen. Er wollte sich nicht zu weit von der Schule entfernen, weil er sich dort mit Anna traf, aber er war sich sicher, dass er noch Zeit hatte. Vorsichtig blickte er über die Schulter, um herauszufinden, ob die Alte noch dastand. Er sah sie nirgends. Wahrscheinlich war sie wieder im Garten. Zornig trat er gegen ein Stück Holz, das am Wegrand lag, und blieb unschlüssig stehen. Er könnte eine Runde durchs Dorf spazieren, aber dann musste er aufpassen, das ihn weder Anna noch seine Eltern sahen. Also vielleicht besser zurückgehen, dachte er, ich darf sie auf keinen Fall verpassen! Er drehte um und ging wieder zurück. Vorsichtshalber ging er nicht bis zum Garten der Alten vor, sondern wartete ein Stück entfernt.
Karim hatte das Gefühl, die Zeit verginge nicht. Er wartete und wartete, lehnte sich zuerst an einen Zaun und setzte sich dann auf den schmalen Streifen Wiese neben dem Weg. Eigentlich sollte ich lernen, warf er sich vor, aber eigentlich ist es auch nicht so wichtig, beruhigte er sich selbst gleich wieder. Aber lange warte ich nicht mehr, wenn sie nicht bald kommt, gehe ich nach Hause, grummelte es in seinem Kopf. Gerade als er aufgeben und aufstehen wollte, sah er Anna um die Ecke biegen. Sie hatte noch immer das Kleid an und schlenderte ohne Eile am Zaun entlang, bis sie neben ihm stehen blieb. Schnell rappelte er sich auf.
„Hallo. Es tut mir leid, dass ich etwas länger gebraucht habe, aber ich musste meiner Mutter noch etwas helfen…“ lächelte sie ihn an. Er beeilte sich, sie lässig zu beruhigen:
„Kein Problem, ich habe genug Zeit. Bist du bereit?“
Sie nickte.
„Also los!“
Karim war froh, dass die alte Frau nirgends zu sehen war, als sie an ihrem Garten vorbeigingen. Schweigend spazierten sie nebeneinander durch das Heidekraut, das das Dorf umschloss, hinaus zu den Dünen am Strand, bis sie am Baustellenzaun standen. Die Bauarbeiter bemerkten sie nicht, und außer ihnen war niemand hier. Sie hielten sich am rostigen Metall fest und starrten eine Weile hinein, bis Anna ihn herausfordernd anblickte:
„Bitte, Herr Experte, erklären Sie mir alles!“
„Ja, also. Das ist unser neues Windkraftwerk. Es dreht sich nicht um eine horizontale Achse, wie andere Windräder, sondern um eine vertikale. Deshalb sieht es auch eher wie ein zu breit geratenes, hingelegtes Mühlrad aus, und nicht wie ein Flugzeugpropeller. Darunter in dem kleinen Haus befindet sich der Generator. Ich weiß nicht ganz genau, wie er funktioniert, es ist ziemlich schwierig zu verstehen, aber ich habe das riesige Zahnrad gesehen, als sie es eingebaut haben. Es war mindestens doppelt so groß wie du!“
„Das glaub ich nicht!“
„Doch, wirklich, es ist fast so groß wie das Haus!“
„Ich will es sehen. Steigen wir über den Zaun?“
Von Annas Zöpfen standen vereinzelte Haarbüschel web, die sich widerspenstig im sanften Wind bewegten und glänzend das Sonnenlicht einfingen.
„Ich weiß nicht. Ich bin mir sicher, die Arbeiter werden uns bemerken und hinauswerfen. Oder?“
Aber bis er seinen Satz beendet hatte, war Anna schon zu einer Stelle am Zaun gerannt, die von einem Busch verborgen war, und hatte begonnen, hinaufzuklettern. Schnell schlich er ihr nach. Ihm gefiel es nicht, dass sie plötzlich das Kommando übernommen hatte, wo er doch der Experte hier war!
„Gib mir dein Hemd, damit ich es über den Stacheldraht legen kann!“, zischte sie von oben herunter.
„Aber dann wird es kaputt, nimm doch dein eigenes Gewand!“, flüsterte er verärgert und aufgeregt hinauf, während er sein Hemd aufknöpfte. Er reichte es ihr hinauf und sah ihr dabei zu, wie sie es über die scharfen Metallspitzen legte und sich drüber schwang, so dass ihr Kleidchen flatterte.
„AuauAaah!“
Sie hatte sich am Schienbein aufgeritzt, als sie auf der anderen Seite hinuntergesprungen war, und hockte sich jetzt hin, um die Wunde zu begutachten. Es war ein langer, blutiger Kratzer. Anna befeuchtete ihren Finger mit Speichel und wischte sich über die Verletzung.
„Zigeunersalbe sagt meine Mutter dazu“, erklärte sie ihm. Dann forderte sie ihn auf, auch über den Zaun zu klettern, aber gerade als Karim damit anfing, sah er zwei Männer heranlaufen.
„Sie haben uns entdeckt!“, informierte er sie durch das Gitter, und spürte eine leichte Befriedigung, weil er Recht behalten hatte. Sie sahen sich einen Moment tief in die Augen. Davonlaufen oder bei ihr bleiben und riesige Probleme bekommen, überlegte er, während er die Männer immer näher kommen sah und bereits ihre Stimmen hörte. Vielleicht kommen wir ins Gefängnis! Und zwar nicht bei Maniul, sondern in der Hauptstadt…In die tiefen Kerker, aus denen niemand zurückkam, und wenn doch nach Jahren jemand frei gelassen wurde, dann kamen die Leute anders zurück, als sie vorher gewesen waren, erzählte man sich: verändert, still und mit starrem Blick! Oder noch schlimmer: in eine der Strafmienen in den Bergen! Karim trippelte von einem Fuß auf den anderen. Laufen oder bleiben - was tun?
„Lauf nicht weg, bitte!“, wisperte Anna, und blickte panisch über die Schulter.
„Schnell, komm wieder zurück! Es geht sich aus!“, schlug er ihr vor, doch sie war wie erstarrt und sah ihn gar nicht an, weil sie den Blick nicht von den Männern abwenden konnte.
„Wenn ich noch länger warte, erwischen sie mich auch!“, kreischte Karim so leise wie möglich. Er war sich sicher, dass sie ihn noch nicht bemerkt hatten, und wollte so schnell wie möglich weg.
„Ich muss weg! Ich warte auf dich. Dort, wo der Weg ins Dorf hineingeht, ok?“
Sie antwortete nicht.
Er stammelte ein „Es tut mir leid“, schnappte sich sein Hemd, drehte sich um und verschwand zwischen den Büschen.
Als Karim heimkam, schlich er ohne ein Wort schnell in die Kammer, in der sein Bruder und er schliefen. Den ganzen Weg war er gelaufen und hatte nicht wie versprochen am Dorfrand gewartet. Er hatte erst mitbekommen, dass er zuhause war, als er gehört hatte, wie hinter ihm das Gartentor zufiel. Im Zimmer legte er sich aufs Bett und starrte zur Decke. In seinem Kopf surrte es und er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Es dauerte nicht lange, bis seine Mutter hereinkam und ihn fragte, wo er so lange gewesen sei. Karim antwortete nicht, sondern sah sie nur mit starrem Blick an, bis sie ihn aufforderte, sofort mitzukommen, es gäbe noch einiges im Garten zu arbeiten und bald sei Abendessen.
„Was ist los mit dir? Wo hast du dich schon wieder herumgetrieben, warst du wieder mit Marco bei der Baustelle? Ich hab dir doch gesagt, dass ihr euch von dort fernhalten sollt! Da bekommt ihr noch Probleme!“, wetterte seine Mutter, während sie ein Beet voller grünem Zwiebel begutachtete und hier und da ein Unkraut ausrupfte.
„Nein, ich war nicht mit Marco zusammen“, entgegnete Karim kurz angebunden und begann, die Pflanzen zu gießen. Dafür musste er mit der Metallkanne hinters Haus zum Brunnen gehen und konnte so der Befragung ausweichen. Er ließ sich Zeit, pumpte in unregelmäßigen Abständen und als die Gießkanne voll war wartete er einen Augenblick, bevor er wieder nach vorne in den Garten ging. Vielleicht ist sie schon hineingegangen, dachte er bei sich. Aber sie war noch da. Beiläufig zupfte sie ein paar Weinblätter vom Stock, drehte sich dann um und sah ihm beim Gießen zu, bis sie schließlich fragte: „Mit wem warst du dann unterwegs?“
Wütend knallte er die Kanne auf den Boden und sah sie erbost an.
„Das geht dich überhaupt nichts an! Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will! Was soll diese Fragerei, bist du beim Sicherheitsdienst?“
Seine Mutter lächelte kurz, bevor sie fortfuhr: „Bist du verliebt?“
Er wusste nicht, was er antworten sollte, und musste sich zusammenreißen und seinen Mund wieder schließen, der ein paar Sekunden offen gestanden war. Was meinte sie damit? Hatte sie ihn beobachtet? Was soll das, verdammt, warum haut sie nicht ab?
„Nein, was redest du für einen Blödsinn. Lass mich in Ruhe! Und gieß deinen scheiß Garten selber!“, stieß er hervor, stampfte zurück ins Haus und warf die Tür hinter sich zu. Normalerweise hätte seine Mutter ein derartiges Verhalten nicht einfach so durchgehen lassen, aber in diesem Fall grinste sie verstohlen und fuhr damit fort, den Weinstock auf Schädlinge zu kontrollieren.
Anna war am nächsten Morgen nicht in der Schule. Als Karim die Klasse betrat, fiel ihm sofort auf, dass ihr Platz leer war, und er schlich beschämt zu seinem Tisch. Was war passiert? Hatten sie sie eingesperrt? Ich könnte nach der Schule zu ihr nach Hause gehen und ihre Eltern fragen, aber dann wissen sie, was los ist. Dann bekomme ich sicher Probleme, weil sie mit mir bei der Baustelle war, fiel ihm ein. Karim war verzweifelt. Den ganzen Tag über konnte er sich nicht konzentrieren, er starrte aus dem Fenster, wetzte ungeduldig mit den Füßen auf dem Boden und lachte gequält über die üblichen Späße, die Marco im Unterricht trieb. Als er die Fragen des Staatskundetestes beantwortete, brach er seinen Bleistift mehrmals ab, weil er so fest andrückte, und er bekam eine schlechte Note. Unfassbar! Was haben sie mit ihr nur gemacht, ging es ihm ständig durch den Kopf, es ist meine Schuld, ich hätte ihr helfen müssen!
Nach der Schule wollte er am Haus von Annas Eltern vorbeigehen, um zu sehen, ob er irgendeinen Hinweis entdeckte. Er wartete, bis die anderen Kinder weg waren, und ging dann mit schlechtem Gewissen los. Als ob Nichts wäre schlenderte er pfeifend am roten Gartenzaun entlang, blieb einmal kurz stehen, um sich die Schuhe neu zuzubinden und danach beim Aufstehen wie zufällig über den Zaun zu blicken. Nichts. Alles schien normal, er hörte das Klappern der Töpfe aus dem Haus und das gemütliche Gluckern der Hühner, die im Garten Würmer suchten. Er war zwar ein bisschen erleichtert, aber er wusste auch nicht mehr als zuvor.
Anna kam die ganze letzte Schulwoche nicht zum Unterricht. Karims Verunsicherung wurde von Tag zu Tag größer, und als am Freitag die Ferien begannen, dachte er sich, dass es der schlimmste Sommer seines Lebens werden würde.
3.
Etwa ein Monat, nachdem die Bauarbeiten begonnen hatten, kamen eines Tages der Politkommissar und ein Vertreter des Büros für Zukunftsentwicklung, um den Fortschritt zu begutachten. Sie kamen unangekündigt, und niemand bemerkte ihre Ankunft.
Maniul saß gerade vor der Bäckerei und trank in der Vormittagssonne Kaffee, als er die beiden die Dorfstraße entlangkommen sah. Er hatte sie im ersten Moment nicht erkannt, sprang dann aber sofort auf, als er die Abzeichen auf ihren Uniformen in der Sonne glitzern sah, nahm seine Mütze und ging ihnen entgegen. Als er sie erreicht hatte blieb er stramm stehen, salutierte pflichtbewusst und streckte seine Brust so weit heraus, wie es sein kaputter Rücken zuließ:
„Herzlich willkommen in St. Stephen, Herr Kommissar, wir haben nicht mit ihnen gerechnet! Aber es ist immer schön, so hohen Besuch zu haben! Kann ich ihnen helfen?“
„Ja, nehmen sie das Gepäck. Wir kommen, wie sie sich denken können, um das Projekt zu inspizieren. Das ist Florin Radirka, stellvertretender Abteilungsleiter im Büro für Zukunftsentwicklung!“
„Sehr erfreut!“, erwiderte Maniul in Richtung des neuen Gastes, die Hand noch immer am Mützenrand, während er mit der anderen nach der Tasche griff.
„Stehen sie bequem, Sicherheitsoffizier!“ begrüßte ihn Radirka, und streckte ihm die Hand entgegen. Maniul zögerte kurz, bevor er sie ergriff, denn Händeschütteln stand nicht im Protokoll. Mit einem unsicheren und gequälten Lächeln erwiderte er schließlich den Händedruck, der so fest und energisch war, dass es ihn ein wenig beutelte und seine Mütze verrutschte.
„Soll ich sie zum Turm bringen? Zu Fuß ist es ein weiter Weg bei diesen Temperaturen, ich müsste nur schnell den Wagen holen und einspannen…“
„Nein, das ist nicht nötig!“, unterbrach ihn der Kommissar, „gehen sie zum Bürgermeister und bereiten sie ihn darauf vor, dass wir uns bei ihm einquartieren werden!“
„Gut, ja natürlich, ich organisiere das!“, antwortete Maniul hastig, und hoffte, dass Ernesto zuhause war. Um diese Zeit war der Bürgermeister nämlich oft mit seinem Boot unterwegs, um zu fischen, und Maniul wollte die Sache nicht allein regeln müssen.
„Und wenn sie irgendetwas brauchen, geben sie Bescheid, ich stehe immer zur Verfügung!“, hängte er nach einer kurzen Pause noch an.
Er blieb einen Schritt zurück, als die beiden losgingen, aber er musste in dieselbe Richtung, also schloss er schnell auf und ging neben ihnen her. Vorsichtig blickte er zur Seite, um die Besucher anzusehen. Warum waren sie hier? Gab es Probleme? Er versuchte, ihr Schritttempo zu halten, aber sie waren eine Spur schneller als er, so dass er rasch außer Atem kam.
„Ich begleite sie ein Stück, wir haben denselben Weg…“, keuchte er.
„Ja, natürlich“, kam es unwirsch vom Politkommissar, „machen sie das!“
Als sie beim Haus des Bürgermeisters vorbeikamen, blieben sie kurz stehen. Alina und Helene waren im Garten und misteten gerade den Hühnerstall aus, von Ernesto war nichts zu sehen.
„Gut, ähm, dann rede ich mit ihnen und kündige sie an“, murmelte der Sicherheitsoffizier, salutierte und verabschiedete sich: „Viel Erfolg, ich meine, ich hoffe das Projekt entwickelt sich zu ihrer Zufriedenheit!“
„Ja, machen sie das! Wir kommen dann am Abend“, antwortete der Politkommissar, und wollte sich schon umdrehen, als er plötzlich wie vom Blitz getroffen stehenblieb.
„Das ist doch wohl nicht möglich! Unerhört!“, wetterte er, und marschierte schnurstracks durch das angelehnte Gartentor.
Maniul blieb verdutzt stehen und sah ihm nach, während der Politkommissar „Was denken sie sich dabei! Skandalös!!“ - brüllend auf die Frauen des Hauses zusteuerte.
Alina entfernte gerade vollgeschissene Zeitungsblätter aus dem Stall und wischte mit ihnen das übrige Stroh auf den Boden. Sie richtete sich auf, als sie das Gezeter hörte, und drehte sich verwundert um.
„Das können sie nicht machen! Unfassbar! Wissen sie, was sie hier tun?“
Verwundert schaute sie ihn an und meinte: „Ja, ich putze den Hühnerstall. Einmal im Monat muss das sein, sonst werden sie krank. Deshalb muss man die Unterlage austauschen und frisches Stroh hineingeben.“
„Sicherheitsoffizier!“, brüllte der Politkommissar mit hochrotem Gesicht, „kommen sie augenblicklich her und sehen sie sich das an!!“
Maniul huschte schnell hinein und blieb neben den Dreien stehen. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Er sah kein Problem dabei, Hühnerställe auszumisten. Natürlich war es eine schmutzige Arbeit, aber nachdem sie vor einigen Jahren einmal eine Seuche gehabt hatten, an der fast alle Hühner gestorben waren, passten die Leute im Dorf besonders auf.
„Was sagen sie dazu? Eine Frechheit!“ fuhr der Kommissar fort.
„Dieses Element verwendet das Volksblatt, ein staatliches Organ größter Qualität, als Unterlage für ihre Hühner! Die vom Volksführer höchstpersönlich täglich Korrektur gelesene Zeitung, zerfleddert und voller Geflügelexkremente! Unerhört! Sicherheitsoffizier, unterbinden sie das sofort, sonst gibt es ernsthafte Konsequenzen!“
Maniul starrte zuerst ihn, dann Alina, dann wieder ihn an.
„Im Namen der staatlichen Sicherheit und zum Wohle des Volkes verbiete ich dir, Alina, und natürlich auch dir, Helene, weiter Zeitungspapier für den Hühnerstall zu verwenden. Das ist verboten, wenn ihr das wieder macht, gibt es Konsekenzen!“
Alinas Blick wanderte erbost und aufmüpfig von einem zum anderen.
„Gut“, meinte sie, „kein Problem. Dann nehme ich in Zukunft unsere Hochzeitsbettwäsche mit dem schönen Muster. Denn irgendetwas muss ich nehmen, sonst kommt das Ungeziefer in den Stall. Gut.“
Maniul schaute den Politkommissar, dessen Nasenflügel noch immer bebten, vorsichtig von der Seite an. Hatte er alles richtig gemacht? War die Sache damit erledigt? Einen Moment standen sie sich noch gegenüber, bis der Kommissar kurz aufschnaubte und im Umdrehen Maniul zurief: „Exekutieren sie diesen Befehl! Wenn ich am Abend komme, möchte ich kein einziges Zeitungsblatt mehr im Stall sehen!“
Dann warf er die Gartentür hinter sich zu und ging im Stechschritt die Dorfstraße entlang, dicht gefolgt von Radirka.
Sobald er außer Hörweite war, begann Alina zu schimpfen: „Maniul, was soll das? Was denkst du dir, glaubst du, ich werde ernsthaft meinen Hühnerstall mit Leintüchern auskleiden?“
Maniul deutete ihr an, leiser zu sprechen, aber sie kam gerade erst in Fahrt: „Und überhaupt: wer wird mir verbieten, was ich in meinem eigenen Hühnerstall mache? Als ob das irgendjemanden etwas angehen würde! Ich verwende das Volksblatt seit Jahren dafür, und bis jetzt hat sich noch niemand beschwert. Was sollte ich auch sonst damit machen, wenn Ernesto es gelesen hat. An die Wand hängen? Verbrennen? Das lasse ich mir nicht gefallen!“
„Aber du hat ihn doch gehört“, flehte Maniul sie an, „bitte gib das Papier raus, sonst gibt’s Probleme, also Konsekenzen!“
„Was wird schon sein? Wirst du mich in dein Gefängnis stecken, hä? Willst du das? Dann bekommst du aber Probleme mit meinem Mann, mein lieber Maniul, darauf kannst du wetten!“
„Nein, natürlich nicht“, beschwichtigte er sie, „aber wenn der Kommissar wieder kommt und du das Papier nicht entfernt hast, bin ich dran! Versteh doch, bitte. Wir müssen jetzt zusammenhalten, bis der Turm steht. Wenn das Projekt abgeschlossen ist, wird alles wieder anders, da bin ich mir sicher!“
Vor sich hin schimpfend und grummelnd sammelte Alina das Papier ein und trug es zum Misthaufen. Helene hatte inzwischen begonnen, im Gemüsegarten zu arbeiten, und so blieb Maniul allein vor dem Stall zurück und sah den Hühnern zu, die am Boden scharrten.
Der Vorfall blieb nicht ohne Folgen. Alina hatte zwar an diesem Tag alle Zeitungsblätter entfernt, so dass der Politkommissar am nächsten Morgen zufrieden abreiste, aber sie schimpfte mehrere Tage über diese Frechheit: bei jeder Mahlzeit mit der Familie, mit den Nachbarinnen über den Gartenzaun hinweg und abends im Bett. Schließlich überredete sie ihren Mann, eine Versammlung zu den Problemen rund um den Turm einzuberufen, und seufzend gab er nach.
Am Abend der Zusammenkunft war der Gemeindesaal bis auf den letzten Sitzplatz gefüllt. Alle interessierten sich dafür, denn viele Menschen im Dorf hatten selbst bereits Ärger wegen der Bauarbeiten gehabt. Auch zwei der Arbeiter waren gekommen und saßen in der letzten Reihe. Alle warteten gespannt, was passieren würde.
Als der Bürgermeister schließlich das Rednerpult betrat, starrten ihn alle gebannt an. Er blickte in die Runde, räusperte sich und begann zu sprechen: „Also. Es freut mich, dass ihr so zahlreich gekommen seid. Und das, obwohl es heute keine Getränke gibt.“ Er hoffte inständig auf Lacher und blickte verzweifelt in den Saal. Niemand verzog eine Miene.
„Mir ist zu Ohren gekommen, dass einige von euch Probleme im Zuge der Bauarbeiten gehabt haben. Deshalb haben wir uns heute hier getroffen, um das gemeinsam zu besprechen. Wer mag anfangen?“
Die Leute im Saal blieben stumm und blickten sich vorsichtig um, wer wohl zuerst etwas sagen würde. Niemand wollte beginnen. Schließlich stand in der ersten Reihe Alina auf, drehte sich um und forderte die Leute auf, doch endlich den Mund aufzumachen: „Was ist denn los mit euch? Ich habe gedacht, wir haben alle die Schnauze voll? Aber jetzt traut sich mal wieder keiner!“ Fuchsteufelswild blickte sie in die Runde, drehte sich dann zu ihrem Mann um und empörte sich: „Schon von Anfang an hatten wir mit der Sache Probleme. Niemand hatte uns etwas gesagt, alles wurde ohne uns entschieden, und jetzt diese Sache mit dem Hühnerstall. Mir reicht´s!“
Die Leute im Saal hatten plötzlich das Gefühl, dass dieses Gespräch sie eigentlich gar nichts anging, dass sie vielmehr einem privaten Streit zwischen dem Bürgermeister und seiner Frau beiwohnten. Alle warteten gespannt auf seine Antwort.
„Natürlich. Das war ein unangenehmer Zwischenfall, aber das haben wir bereits besprochen. Und wenn das Kraftwerk erst einmal steht, haben wir wieder unsere Ruhe! Denk doch nur an die Vorteile, die wir dadurch haben werden!“
„Jaja, du und deine Vorteile! Und was ist mit den Zäunen? Hat da schon jemand Geld bekommen dafür?“ Alina wirbelte herum, so dass ihr Kopftuch flatterte, und blickte aufgebracht in den Saal.
Verneinendes Grunzen, verärgertes Schnauben und Kopfschütteln war die Antwort.
„Na seht ihr! Nichts habt ihr bekommen! Und ich sage euch eines: das wird auch so bleiben! Da könnt ihr sicher sein!“
„Aber Schatz“, lenkte der Bürgermeister ein, „solche Sachen dauern halt etwas, aber ich bin mir sicher, wir bekommen unser Geld. Ich verspreche euch, ich kümmere mich darum! Also weiter, wen stört noch etwas?“
Jetzt waren die Leute aufgewacht und sprühten nur so vor Eifer, ihre Probleme vorzubringen:
„Die Arbeiter, die bei mir wohnen, pissen immer in meinen Gemüsegarten, wenn sie aus dem Gasthaus heimkommen. Und sowieso: wieso bekommen wir kein Geld dafür, das wir sie beherbergen?“
„Lieber Ernesto, ich will ja nicht meckern, aber letzte Woche ist meine Ziege verschwunden, und ich bin mir sicher, sie in Richtung des Turmes gehen gesehen zu haben! Die haben sie sicher geschlachtet und aufgefressen!“
„Der Ingenieur, der bei mir wohnt, gafft immer meiner jüngsten Tochter nach, wenn sie durchs Zimmer geht. Aber man darf ja nichts sagen, sonst gefährdet man den Fortschritt des Projekts, denn dann droht er vielleicht, sofort abzureisen!“
Der Bürgermeister versuchte, die Leute zu beruhigen. Auf die meisten Fragen oder Beschwerden konnte er nur beschwichtigend und ablenkend antworten, da er keine Lösungen wusste, und die Menschen brachten ihre Anliegen in einem so hohen Tempo vor, dass er ins Schwitzen kam. Die Leute sprangen auf und riefen durcheinander, schimpften und jammerten, und als sie fertig waren und sich wieder hingesetzt hatten, wollte der Bürgermeister sie zum Abschluss noch einmal besänftigen:
„Liebe Freunde, ihr habt recht. Es haben sich durch die Bauarbeiten viele Unannehmlichkeiten ergeben, mit denen wir leben müssen. Aber, meine Freunde, eines sollten wir nicht vergessen: bald ist der Turm fertig! In wenigen Wochen wird er eröffnet, und dann wird unsere Gemeinde aufblühen! Der viele Strom, der uns dann zur Verfügung steht, wird unser Leben verbessern: keine leeren Batterien mehr, kein stinkender Generator mehr am Stephanietagsfest, keine flackernden, rußigen Fackeln mehr, keine Öllampen! Sauberer Strom! Für Radios, Lichter, Maschinen…! Der Turm wird oben einen Leuchtturm haben, wurde mir gesagt, so dass keine Schiffe mehr vor unserem Dorf auf Grund laufen und unseren Strand verschmutzen! Nein, sie werden unseren Hafen finden, und wenn es nötig ist, werden wir ihn vergrößern, damit sie bei uns anlegen können! Und Nichts wird uns mehr halten können! Alle werden davon profitieren, wenn wir Besucher bekommen, die bei uns essen und trinken und übernachten! Stellt es euch einmal vor: St.Stephen, eine wichtige Hafenstadt! Eine, an der man nicht vorbeifährt, wenn man vom Meer den Fluss hinauf ins Landesinnere fährt, sondern eine Stadt, die man sehen will! Eine Stadt, meine Freunde, die berühmt ist!“
Er hielt kurz inne und blickte vielsagend in die Runde, bevor er ruhig fortfuhr:
„Wir alle müssen Opfer bringen. Aber wir investieren damit in den Fortschritt, in den Wohlstand und in eine glorreiche Zukunft. Vergesst das nicht!“
Grummelnd und leise miteinander diskutierend verließen die Menschen schließlich den Saal. Die Bauarbeiter waren schon früher gegangen, und Ernesto sah den Leuten ein wenig zerstreut vom Rednerpult aus nach.
4.
Die Sommerhitze ließ die Luft über den Schilffeldern flimmern und wegen der vielen Gelsen war es beinahe unmöglich, sich längere Zeit in den Kanälen der Auwälder aufzuhalten. Die Fischer entfachten auf ihren Booten stark rauchende Feuer und kleideten sich in lange Gewänder, um sich vor den Insekten zu schützen, kamen aber jeden Vormittag mit zerstochenen Gesichtern und Körpern zurück. Während der Mittagshitze verkrochen sich die Menschen in ihren Häusern oder legten sich im Garten in den Schatten eines Baumes, die Hunde lagen hechelnd und mit heraushängenden Zungen herum und die Kühe drängten sich um die beinahe ausgetrockneten Wasserstellen. Auch die Bauarbeiter arbeiteten nur morgens und abends, trotzdem stand das Projekt kurz vor dem Abschluss und alle warteten gespannt auf die Eröffnung.
Karim war seit dem Zwischenfall mit Anna nicht mehr bei der Baustelle gewesen. Er hatte sie seit zwei Wochen nicht mehr gesehen und wurde von einer Unruhe gequält, die ihn ziellos durch die Straßen streichen ließ. Mehrmals war er in die Richtung des Turms gegangen, hatte dann aber immer wieder umgedreht und war, von Schuldgefühlen beherrscht, jedes Mal wieder ins Dorf zurückgekehrt. Oft saß er abends am Pier, warf Steinchen ins Wasser und sah zu, wie die Sonne im Fluss verschwand. Was für eine Scheiße! fluchte er dann innerlich, was für eine beschissene Scheiße! Ich habe alles falsch gemacht, und jetzt kann ich es nicht mehr ändern!
Es war einer dieser Abende, an denen er nach Sonnenuntergang langsam nach Hause schlenderte und im Mondlicht die Spuren des Tages zu lesen versuchte, die von Schuhen, Hufen, Pfoten und Rädern für kurze Zeit im weichen Sand der Straße hinterlassen worden waren, als er sich in der Dämmerung kurz einbildete, eine bekannte Gestalt um die Ecke huschen zu sehen. Vielleicht…? dachte er sich kurz, vielleicht war sie das? Aber nein, das war nur deine Phantasie, Wunschdenken! Trotzdem beschleunigte er seinen Schritt, um der Person nachzugehen, und als er um die Ecke bog, sah er sie nur wenige Meter vor sich! Unmöglich! Das war Anna! Sein Herz machte einen Sprung und begann, wild zu klopfen, und aufgeregt rief er ihren Namen. Als sie sich umdrehte, hatte er sie schon erreicht und erleichtert grinste er sie mit großen Augen an.
„Anna!“ stieß er hervor.
„Hallo Karim.“
„Wo bist du gewesen? Was haben sie mit dir gemacht? Ich hatte solche Angst!“
Sie antwortete nicht gleich, sondern sah in zuerst kurz erstaunt an, bis sich ihr Gesicht aufhellte:
„Ach so, du meinst wegen der Arbeiter? Damals, beim Turm? Das war nicht so schlimm, sie haben mich gefragt, was ich da wollte, und ich habe gesagt, ich möchte den Turm sehen. Dann haben sie gelacht und mich mitgenommen und mir alles gezeigt. Du hattest recht, das Zahnrad ist riesig! Und das kleine Haus ist voller Geräte und Maschinen, so viele habe ich noch nie an einem Ort gesehen!“
Karim war im ersten Moment sprachlos. Das war doch nicht zu fassen!
„Ja aber, …“, begann er, „ja aber wo warst du dann? Du warst nicht in der Schule, und ich habe gedacht, du bist im Gefängnis oder in einer Mine, ich meine, ich wusste ja nicht…!!“
Anna lachte und erzählte ihm, wo sie wirklich gewesen war: „Aber nein, ich war nicht im Gefängnis, sondern in der Hauptstadt! Meine Tante wohnt dort, und Mama und ich sind sie besuchen gefahren. Sie hat eine kleine Wohnung, gar nicht weit vom Palast entfernt, und ich habe dort dann an einer Singwoche teilgenommen, das war wunderschön! Wir haben am Anfang schöne Kleider bekommen, und jeden Tag geprobt, und es gab immer leckeres Mittagessen, und am Ende wurden wir zum großen Volksführer geladen und haben ihm vorgesungen. Leider mussten wir die Kleider dann wieder zurückgeben…“
Karim blickte sie fassungslos an. Er konnte es nicht glauben! Wochenlang hatte er sich Sorgen gemacht, hatte nicht geschlafen und kaum gegessen! Und jetzt erzählt sie ihm die Geschichte von diesem verdammten Ausflug! Er hatte das Gefühl, gleich zu explodieren, sein Körper würde platzen und in tausend Stücke zerrissen werden, die dann quer durchs Dorf fliegen würden, und ihr Kleid wäre für immer verschmutzt, so dass sie immer daran denken müsste, was sie angerichtet hatte, wenn sie es sah, und ihr Gesicht wäre voller blutiger Fetzen, und sie würde geschockt und verwirrt an die Stelle starren, an der er gerade noch gestanden war, sich langsam die blutigen Haare aus dem Gesicht wischen und sich dann umdrehen und heulend davonrennen, ja, und das würde sie nie, niemals vergessen, dachte sich Karim.
„Na dann ist ja gut“, antwortete er.
„So, ich muss nach Hause, schön, dass es dir gut geht! Bis bald!“, rief ihm Anna im Umdrehen zu und verschwand an der nächsten Kreuzung ums Eck.
Die Arbeiten am Turm waren inzwischen beinahe beendet. Mit derselben Fähre, mit der auch Anna zurückgekommen war, waren zwei große Glühbirnen, eine davon als Reserve, und ein riesiger Spiegel gebracht worden, die nun an der Spitze des Turmes in einem kleinen Glaskasten montiert worden waren und fortan den Schiffen den Weg weisen sollten.
Die Menschen im Dorf waren aufgeregt. Ernesto war höchstpersönlich von Haus zu Haus gegangen und hatte Einladungen zur großen Eröffnungsfeier ausgeteilt, die in der Hauptstadt gedruckt und gemeinsam mit den Glühbirnen geliefert worden waren. Auf den überladenen Zetteln, auf denen die Nationalflagge, das Gesicht des Volksführers, eine Zeichnung des Turmes sowie ein Bild des Flusses schwarz auf verschiedenfarbiges Papier gedruckt war, wurde zu einem großen Fest geladen, einem Fest wie noch keinem. In der folgenden Woche sollten die hohen staatlichen Würdenträger anreisen und dann gemeinsam das rote Band durchschneiden, das die Leute im Dorf noch vom Fortschritt trennte. Einheimische und angereiste Musiker würden spielen und Ernesto hatte einen Ochsen gespendet und alle Frauen im Dorf gebeten, Kuchen und Torten zu backen. Der Bürgermeister war besonders angespannt: er musste eine Rede halten, eine Rede, die des Ereignisses würdig war und den Ansprachen der anderen um nichts nachstand! Tagelang saß er grübelnd an seinem Schreibtisch, ein leeres Blatt vor sich, sprang immer wieder auf, um ein paar Schritte im Zimmer auf und ab zu gehen und sich dann erneut hinzusetzen und den weißen Zettel anzustarren. Die Rede war nicht das Einzige, was er organisieren musste, und so hatte er ständig das Gefühl, den Sachen hinterherzulaufen und sich nicht auf das Wesentliche konzentrieren zu können. Wie anfangen? Was sollte er sagen? Er wagte nicht einmal, den Stift in die Hand zu nehmen. Er wollte das Papier nicht beschmutzen, er musste sich zuerst ganz sicher sein, was er schreiben würde. Auf diese gehemmte Phase folgte am letzten Tag und besonders am Abend dieses letzten Tages eine Zeit, in der Ernesto ungestüm drauf los kritzelte, bis die Seite voll war, bevor er das Ganze wieder durchstrich und das Blatt auf den Haufen mit den anderen zerknüllten Blättern warf. Er raufte sich die Haare und nervte Alina, die in der Küche mit Backen beschäftigt war, mit seinen Entwürfen.
„Liebe Freunde und Freundinnen“, hob er an, aber Alina unterbrach ihn gleich: „Sie sind nicht alle mit dir befreundet, einige mögen dich gar nicht, Ernesto!“
Verdattert blickte er vom Blatt auf den Hinterkopf seiner Frau, die gerade Teig knetete und mehr zu sich und allen anderen als zu ihm gesprochen hatte.
„Meine sehr geehrten Damen und Herren?“ bot Ernesto an, aber Alina lachte nur und meinte: „Damen und Herren? Hast du in St. Stephen schon jemals einen Herrn oder eine Dame gesehen? Das sind doch alles Tölpel und Taugenichtse, rüpelhaft und grob! Vielleicht kommen ja ein paar Herrschaften zur Eröffnung auf Besuch, aber ich weiß nicht…Und sowieso: warum sollten es gerade deine Damen und Herren sein, warum nicht vielleicht auch meine?“
So ging es die ganze Zeit dahin, und jeder Versuch Ernestos, seine Frau für eine Formulierung zu begeistern, wurde von ihr mit einer herablassenden Bemerkung, oft nur mit einer abwertenden Handbewegung oder einem verächtlich klingenden Ausatmen zunichte gemacht. Er las ihr in Hemd und Unterhose mit pathetischer Stimme die schönsten Zukunftsphantasien vor, versicherte ihr den wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung und malte sich und allen eine glänzende Zukunft aus, in der das Windkraftwerk tagsüber das Dorf und in der Nacht den Leuchtturm mit Strom versorgen würde. Alina hörte ihm den ganzen Abend mit halbem Ohr zu, bis sie ihn wieder ins Zimmer scheuchte, weil er ihr im Weg war.
Auch das restliche Dorf bereitete sich auf das große Fest vor. Die Straßen wurden mit Girlanden und Blumen geschmückt und alle verfügbaren Tische und Bänke hinaus zum Turm gebracht, wo die Feier stattfinden sollte. Am Morgen vor der Feier bereiteten ein paar Männer die Strecke für das Pferderennen vor, das später vor der Eröffnungszeremonie am Strand stattfinden sollte. Das ganze Dorf duftete nach Kuchen und die Kinder schlichen neugierig zwischen den gedeckten Tischen umher.
Die Fähre mit den staatlichen Ehrengästen kam pünktlich zu Mittag an, und alle bis auf die zwei Männer, die am Festplatz den Ochsen brieten, hatten sich mit Wimpeln und Blumensträußen am Hafen versammelt, um den Volksführer zu begrüßen. Auch die Arbeiter waren gekommen, sie standen am Rand in einer kleinen Gruppe und unterhielten sich miteinander. Gespannt warteten die Menschen des Dorfes, bis die Bootsjungen den Landesteg ausgefahren und einen Teppich darübergelegt hatten, und als schließlich die Tür zum Passagierbereich geöffnet wurde, jubelten die Menschen und warteten gespannt auf das Staatsoberhaupt. Der Bürgermeister hatte eine Schleife in den Nationalfarben mit einigen Orden umgehängt und trug einen glänzenden, schwarzen Zylinder, der ihm zu klein war und bei jeder Bewegung beinahe vom Kopf rutschte. Gemeinsam mit Maniul stand er am Pier, dort wo der Teppich aufhörte, und blickte erwartungsvoll in das Innere des Schiffs. Zuerst kamen zwei Soldaten heraus, die sich kurz skeptisch umsahen und dann neben dem Landesteg Position bezogen. Dann erschien der Politkommissar mit seiner Sekretärin, und ihm folgte etwa ein knappes Dutzend anderer Würdenträger, darunter der Leiter des Büros für Zukunftsentwicklung und sein Stellvertreter sowie einige der Ingenieure. Das Staatsoberhaupt war nirgends zu sehen. Natürlich kommt er mit einem eigenen Schiff und nicht mit der Fähre, versuchte Ernesto sich einzureden, aber er hatte kaum Zeit, diesen Gedanken zu Ende zu führen, denn er musste mit herausgestreckter Brust die Gäste herzlich willkommen heißen und durfte sich seine Verwunderung, die bald in Enttäuschung umschlagen würde, nicht anmerken lassen. Nachdem der Bürgermeister Höflichkeiten von sich gebend allen die Hände geschüttelt hatte, machten sie sich gemeinsam auf den Weg durch die Menschen, die zurückwichen und ihnen eine Gasse schufen, so dass die Gäste ungehindert aber von allen angestarrt zu den bereitstehenden Wägen gehen konnten. In einer feierlichen Prozession, umringt von bellenden Hunden und begleitet von Kindern, die mit ihren Wimpeln in den Nationalfarben winkten und nebenherliefen, setzte sich der Zug gefolgt von den Dorfbewohnern in Bewegung. Maniul blieb beim Landesteg, die Hand noch immer am Mützenrand. Erst als er sich sicher war, dass ihn niemand mehr beachtete, ließ er sie sinken und mischte sich unter die Nachzügler, die hinter den Begeisterten her trotteten.
5.
Das Pferderennen war schon vorüber und die Menschen hatten sich rund um den Eingang des Turmes versammelt, wo ein Rednerpult aufgestellt worden war. Als sich die Menge beruhigt hatte, trat Ernesto als erster an das Pult, räusperte sich und blickte vielsagend in die Runde. Mit feuchten Augen begann er von einem zerknitterten Zettel abzulesen, immer wieder aufschauend und die Reaktionen beobachtend:
„Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, werte Mitmenschen, meine hochverehrten Ehrengäste. Geschätztes Festpublikum! Wir haben uns heute hier versammelt, gemeinsam und geeint, stark und unbesiegbar, um einen großen Moment in der Geschichte von St. Stephen zu feiern. Der Fortschritt, liebe Freunde, hat auch unser Dorf erreicht und wird es in ungeahnte Höhen befördern! Unbeschreiblicher Wohlstand wird uns blühen, und wir werden frohlocken! Frohlocken werden wir, da wir nicht nur elektrifiziert werden und endlich Anschluss finden werden an die moderne Zivilisation, sondern auch, weil unser geliebtes Dorf wachsen und prosperieren wird! Der technische Aufschwung wird uns Gäste bringen, Urlauber von nah und fern, und schon bald werden wir Hotels und Restaurants mit unserem eigenen Strom versorgen! Wer weiß, vielleicht werden wir eines Tages sogar ein schillerndes Casino bauen! Schiffe werden bei uns ankern, und St. Stephen wird weltbekannt werden! Das sage ich euch, meine Damen und Herren, man wird von unserem Dorf sprechen, jenem Ort, den wir alle so sehr lieben und der so lange unscheinbar im Nirgends lag. Es werden Geschichten erzählt werden, Geschichten von einem kleinen Paradies am Ende der Welt, das alles bietet, was das Herz begehrt. Liebe Freunde und Unterstützer des Aufschwungs: Jetzt beginnt das neue Leben!“
Hier sah er besonders lange und ernst in die Gesichter der Menschen und wartete auf einen Applaus, aber alle blickten still und aufmerksam zu ihm. Ernesto spürte die etwa hundertfünfzig Augenpaare auf sich und verwirrt genoss er kurz die Beachtung, die ihm entgegengebracht wurde, bevor er sich wieder sammelte, auf den schmierigen Zettel in seinen Händen schaute und weitersprach:
„Erleichtert und motorisiert werden wir werden, modern und wohlhabend! Mit dieser großen Errungenschaft, unserem eigenen Windkraftwerk, dasjenige hier hinter mir stolz aufragt wie ein mächtiger Krieger, ein stolzer Riese, ein großer Bruder, möchte ich fast sagen – mit dieser tollen Errungenschaft kommen aber auch große Verantwortung und noch größere Aufgaben einher. Es wird neue Arbeiten geben. Arbeiten, die nach der Hand und dem Kopf von Profis verlangen!“
Als Ernesto kurz verschnaufte, um in einem letzten Anlauf endlich die Ehrengäste zu begrüßen und an das rote Band zu bitten, schaute er dabei den Kapellmeister mit vor Anstrengung aufgerissenen Augen an. Dieser wiederum fühlte sich sofort angesprochen und befürchtete, in diesem Moment etwas Wichtiges vergessen zu haben, eine geheime Abmachung, vielleicht sogar einen internationalen Kodex zwischen Kapellmeistern und Bürgermeistern, sodass er sich am Absatz umdrehte und den Musikern mit einer fahrigen Geste einen alle überraschenden und deshalb nicht ganz exakten Tusch abverlangte. Verdutzt schluckte der Bürgermeister, bevor er sich wieder gefasst hatte.
„Profis, jawohl, Profis, meine lieben Leute, die besten, die es im Land, gibt!“ Jetzt hatte er den Faden verloren. Nervös starrte er abwechselnd in die Menge und auf den verschwitzten Zettel, den er in seinen zittrigen Händen hielt, aber er konnte nichts mehr entziffern.
„Deshalb, ährrm liebe Anwesenden, habe ich nun die hmm große Ehre, wohl, ähh, die größte meines Lebens, den werten Herrn Politkommissar begrüßen zu dürfen, Herr Kommissar, Herr Polit, ich meine, darf ich Ihnen diese Schere überreichen, damit sie feierlich dieses Band, das uns noch von unserer rosigen, einmaligen Zukunft zu trennen vermag in seiner, ähhh, roten Unschuld, also wenn Sie, …“
Der Politkommissar hatte sich mit seinen Leuten bis jetzt unauffällig am Rand der Menschenmenge aufgehalten und war inzwischen mit einigen schnellen Schritten an den Bürgermeister herangetreten, hatte ihm wortlos die überdimensionierten Schere abgenommen, kurz genickt und das Band durchgeschnitten, bevor Ernesto seine Rede beendet hatte. Der immer noch höchst aufmerksame Kapellmeister beobachtete das Geschehen genau und gab in dem Moment, in dem das Band links und rechts von den Scherenblättern zu Boden fiel und das Kraftwerk somit offiziell eröffnet war, den Einsatz zu einer pompösen Fanfare, so dass der Bürgermeister schließlich leise murmelnd und stammelnd auf dem Pult stand, während die Anwesenden bereits jubelten und die Schnapsflaschen entkorkten, wenn sie dies nicht bereits zuvor heimlich erledigt hatten.
Die Feier wurde schnell fröhlich und die Wenigsten hatten bemerkt, dass sich die Leute aus der Hauptstadt schnell und leise zurückgezogen hatten. Nur ein paar Techniker saßen an einem Tisch etwas abseits und sprachen miteinander, während sie über die Ränder ihrer Gläser hinweg den mehrteiligen traditionellen Rundtanz beobachteten, der von den Musikerinnen und Musikern des Dorfes auf ihren schon etwas lädierten Instrumenten begleitet wurde und dessen Darbietung sich mit pathetischen, von herausgeputzten Volksschulkindern mit glasigen Augen vorgetragenen Heimatgedichten abwechselte. Als der Ochse endlich angeschnitten wurde, hatte die Fähre bereits abgelegt.
Im Laufe des Essens waren die älteren Kinder im Auftrag ihrer Lehrerin von Tisch zu Tisch gegangen und hatten Lose für die große Tombola verkauft, die dem Fest einen letzten offiziellen Tagesordnungspunkt geben sollte: heiß begehrte Preise wie Tuchwerk verschiedenster Ausführung, seien es Decken, Geschirr- oder Handtücher, Teegeschirr und Besteck, Hüte, Jacken und Hosen, reich bebilderte Bücher und eine kleine Trommel sowie ein Werkzeugset und ein kleiner, blauer Wecker erhellten die Gesichter derjenigen, die gewonnen hatten und mal ungläubig grinsend und schüchtern, fast vorsichtig, mal laut jubelnd und jauchzend und den anderen Siegergesten zeigend mit ihrem Zettelchen zum Pult gingen, um die händisch geschriebene Glückszahl gegen ihren neuen Besitz zu tauschen. Während dieses Prozederes, das begleitet war von einem regelmäßigen Tusch der Kapelle, den sie immer bei der Verlesung der Nummer spielte, wurde Kaffee getrunken und viel Kuchen vom Kuchenbuffet gegessen.
Karim bekam von alldem nicht viel mit. Nach der Rede des Bürgermeisters und den Tänzen hatte er gemerkt, dass Anna nicht mehr an dem Platz war, an dem sie die ganze Zeremonie über gestanden hatte und zu dem er immer wieder verstohlen hingesehen hatte, um dann, wenn es sich abzeichnete, dass sie den Kopf drehen und ihn ansehen, sein Starren bemerken oder gar seinen Blick erwidern würde, schnell wieder wegzusehen - etwa zum Bürgermeister, zum Boden oder auf den Hintern seines Nachbarn. Schnell hatte er sich durch die Leute hinter ihm gedrängt, die mehr oder weniger gespannt einem mit kindlicher Stimme heruntergeleierten Gedicht über den Glanz und die Herrlichkeit der Nation zuhörten, und hatte sich umgeschaut. Anna war nirgends zu sehen. Ob sie wohl…? Oder vielleicht…? Er umrundete den Turm, und da sah er sie, Hand in Hand mit Emil, dem älteren Bruder einer Mitschülerin: sie gingen gerade Richtung Strand! Mit einem Mal hörte er das Jubeln und Grölen von der Feier wie aus weiter Ferne, als ob es bereits Jahre her wäre und die Geräusche von einer alten Schallplatte kämen.
Die zwei schlenderten über den Sand, und Karim folgte ihnen, immer wieder hinter Büschen und Dünen Versteck suchend. Was hatten die vor? Warum gerade Emil? Gleichzeitig mit der Wut, die in ihm hochkochte, spürte er auch eine kalte, lähmende Enttäuschung, so dass er sich hin- und hergeworfen fühlte – ohne Kontrolle über seine Gefühle, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen.
Inzwischen hatte sich am Leuchtturm eine gewisse Unruhe bemerkbar gemacht. Die Tombola war vorüber, der offizielle Teil der Veranstaltung vorbei, das Kuchenbuffet geplündert und es standen bereits einige leere Flaschen herum. Die Sonne stand schon tief, als die ersten Gäste über Bauchschmerzen zu klagen begonnen. Anfangs waren es nur vereinzelte gequälte Gesichtsausdrücke gewesen, kurze, schmerzverzerrte Zuckungen, ein überraschtes Japsen. Doch bereits nach kurzer Zeit sprangen die Leute nach und nach auf und liefen, da das Toilettenhäuschen neben dem Turm besetzt war, so weit weg von der Feiergemeinde, wie sie konnten, bevor sie sich hinter einem Strauch die Hose herunterrissen und sich erleichtert hinhockten. Da auch einige Musiker der Kapelle betroffen waren, beherrschte eine peinliche Stille den Strand, die nur von gelegentlichem, lautem Furzen und Stöhnen unterbrochen wurde. Alle wunderten sich, nur Zelica spazierte verstohlen grinsend davon.
6.
Der Energieturm war also eröffnet und sollte nun im Alltag seine Funktionstüchtigkeit beweisen. Anfangs interessierte das im Dorf aber niemanden: fast alle waren damit beschäftigt, ihre Verdauungsprobleme auszukurieren. Selbst von den Technikern waren nicht alle einsatzfähig: nur einer war von der mysteriösen Krankheit verschont geblieben und konnte am ersten Tag Dienst versehen. Alle anderen hielten den Weg bis zur nächsten Toilette kurz und warteten in ihren Zimmern liegend auf den nächsten Anfall, manche in den Pausen dazwischen mit hoffnungsvoller Miene – vielleicht war es nun ja endlich vorbei – die dann wieder in schmerzhafte Enttäuschung umschlug, wenn es erneut los ging. Niemand wusste genau, wie und warum es zu diesem Zwischenfall gekommen war und wie sich die Krankheit ausgebreitet hatte, aber einige hatten eine Ahnung. Doch nur hinter vorgehaltener Hand vermuteten manche, es könnte etwas mit Zäunen und Kuchen zu tun haben.
Diesbezüglich hatte Karim Glück gehabt, denn er hatte nichts vom Buffet gegessen. Glücklicher war er deshalb aber nicht: die Sache mit Anna und Emil ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Gerade Emil! Dieser Angeber! So eine Scheiße, dachte er sich, und kickte einen Stein über die menschenleere Straße. Der Sommer neigte sich dem Ende zu, in ein paar Wochen würde die Schule wieder beginnen… Was für ein Sommer! Er musste aufpassen, genau aufpassen, was passierte: so leicht wollte er Anna nicht aufgeben. Zumindest wollte er sie spüren lassen, dass sie ihm egal war!
Als er die Hauptstraße zum dritten Mal hinunterspazierte, hörte er aus der Straße neben Francescos Kneipe ein Geräusch: leise Musik, hinter einem Schleier aus Rauschen und Nebengeräuschen verborgen. Als er um die Ecke in den Hinterhof blickte, sah er dort einen Mann auf der Bank unter der Veranda sitzen, den Oberkörper und den dicken Bauch im Schatten, die dünnen, weißen Füße in die Sonne gestreckt. Er hatte ihn noch nie gesehen, und man sah ihm von weitem an, dass er nicht von hier war. Sein dickliches Gesicht, das in ein paar Jahren wohl schwabbelig werden würde, denn bereits jetzt sah man die Ansätze eines Doppelkinns, war teilweise hinter einer großen Sonnenbrille verborgen. Auf dem Kopf hatte er eine rote Schildkappe, unter der an einer Stelle seine verschwitzen Haare hervorstanden, und er trug ein buntes, hauptsächlich limettenfarbenes Hemd, eine beige kurze Hose und Sandalen. Das Erstaunlichste aber war ein kleines Kofferradio, dass er um den Hals hängen hatte und aus dem die Musik kam.
„Hello, boy!“ rief der Mann, als er ihn bemerkte. Karim zögerte, weil er nicht sicher war, was der Mann wollte. „Keine Angst, komme ruhig her! Meine Name ist Jim, ich bin ein Urlauber.“ fuhr der Fremde mit starkem Akzent fort. Ein Urlauber? Irgendwie kam Karim das seltsam vor, denn noch nie hatte sich jemand aus einem anderen Land hierher verirrt. In die Hauptstadt vielleicht, wenn man ein Visum bekam oder geschäftlich zu tun hatte, aber hierher? An diesen verlassenen Ort, wo nichts passierte, außer wenn die Leute Durchfall hatten? Diese Ausländer sind wirklich verrückt, dachte sich Karim, während er über den staubigen Hof auf den Mann zuging.
„Komm, setze dich! Wie heißt du?“
„Karim“
„Ah, eine schöne Name!“
Vorsichtig ging Karim hin und blieb misstrauisch neben ihm stehen.
„Setze dich doch!“
Karim blieb stehen und fragte: „Was machen Sie hier?“
„Was ich hier mache? Ach, das ist schwer zu erklären. Oder eigentlich auch nicht: Ich bin Ornithologe. Weißt du, was das ist?“
Karim schüttelte den Kopf. Es klang gefährlich.
„Also ich erforsche Vögel und ihre Verhalten. Ich bin Biologe. Aber das ist keine Forschungsreise. Ich mache nur Urlaub und sehe mir das Delta an, das ist bekannt für die Artenvielfalt. Ein Paradies! Du merkst also: auch im Urlaub verfolgt mich meine Arbeit!“, antwortete der Mann mit einem kurzen Grunzen und einem anschließenden schiefen Lächeln. Erst jetzt fiel Karim auf, dass die bunten Flecken am Hemd des Touristen Papageien waren. Warum zieht ein Biologe, der Vögel erforscht, ein Hemd mit Vögeln an, ging Karim durch den Kopf, das wäre ja so, als ob sich eine Lehrerin ein Kleid mit Kindern anzöge. Und noch dazu in diesen auffälligen Farben: schon von weitem würden alle erkennen, dass der Mann nicht aus der Gegend war. Ob die Leute bei ihm zuhause wohl alle so gekleidet waren? Schon vor ein paar Jahren war einmal ein Wissenschaftler mit seinem Team mehrere Wochen im Dorf gewesen und hatte die Population der Zugvögel dokumentiert, aber die hatten ganz normal ausgesehen. Zumindest waren sie gekleidet gewesen wie alle anderen. Dass sie stundenlang mit einem Notizblock am Strand standen und jedes einzelne Tier notierten, war hingegen ein Verhalten, dass im Dorf für so große Verwunderung gesorgt hatte, dass noch Jahre später manchmal über diese Leute geredet worden war. Wobei Verwunderung noch mild ausgedrückt war, vielmehr hatte sich der Begriff „Vogelbiologe“ eine Zeitlang als spöttische Beschreibung etabliert, mit der Leute bezeichnet wurden, die ihren Rausch am Strand ausschliefen. Die Wissenschaftler damals hatten gerne gefeiert und auf jeden Fall keine derartig lächerlichen Hemden getragen.
„Wie alt bist du?“, wollte Jim nach kurzem Schweigen wissen.
„15.“
„Ah, und bist du dein ganzes Leben hier gewesen?“
Karim wusste nicht, was er antworten sollte. Was meinte er mit ‘hier’? Das Dorf, die Region, das Land? Außerdem wollte er gegenüber diesem Mann nicht zugeben, dass er erst zweimal das Dorf verlassen hatte, einmal für ein Begräbnis seines Onkels, einmal mit der Schule. Seine Antwort blieb also vage und kurz: „Mehr oder weniger.“
„Aha, also gefällt es dir hier?“
Karim nickte.
„Ihr habt es ja auch unfassbar schön hier! Und mit dem neuen Windgeneratorturm wird alles anders, du wirst sehen. Es werden Leute kommen, und ihr werdet reich werden!“
„Ja, das haben sie gesagt. Wahrscheinlich wird es so werden.“
„Kennst du dich aus mit diesem Turm? Warst du schon einmal dort?“ wollte Jim der Urlauber wissen.
Kurz hatte sich Karim schon etwas entspannt, aber jetzt stutzte er. Vielleicht war es gar kein Urlauber, sondern jemand aus der Hauptstadt, der wusste, dass Karim und Anna versucht hatten, das Gelände zu betreten. Argwöhnisch erwiderte er: „Naja, bei der Eröffnung war ich vorgestern. Es war ein großes Fest, bei dem alle waren. Aber ich muss jetzt wieder nach Hause, meine Familie ist krank. Auf Wiedersehen!“
Er drehte um und ging schnell auf die Straße.
In den nächsten Tagen normalisierte sich die Situation im Dorf wieder, die Menschen hatten keine langfristigen Schäden genommen und waren bald wieder unterwegs, als ob nichts passiert wäre. Niemand redete mehr über den Vorfall bei der Einweihung des Kraftwerks. Karim begegnete dem Urlauber noch ein paar Mal auf der Straße oder am Strand, einmal sah er ihn in der Nähe des Turms: er hantierte mit einer großen Kamera und fotografierte den Strand und die Vögel. Karim war hergekommen, um in Ruhe nachzudenken über den „Fall Anna“, wie er es insgeheim nannte. Er hatte sich alles bereits ausgedacht gehabt, ihre nahe und ferne Zukunft, hatte stundenlang damit verbracht, an die Decke oder übers Meer zu starren und darüber zu grübeln, wo sie wohl wohnen würden und wie es wäre, jeden Tag mit ihr zu verbringen. Und jetzt: alles eingestürzt, alle Hoffnungen und Phantasien, zusammengefallen in einen Haufen staubigen Schutt, nicht mehr aufzubauen. Er wusste nicht, ob er sich wünschen sollte, sich irgendwann wieder einmal so zu verlieben, oder ob er lieber kalt und hart bleiben sollte, vielleicht auf einem Schiff anheuern und zur See fahren, um dann beim Abschied vom Dorf ihren enttäuschten und verletzten Gesichtsausdruck zu sehen, denn spätestens da würde ihr klar werden, dass sie einen Fehler gemacht hätte. Sie würde die Tränen unterdrücken und ihm im letzten Moment, bevor die Fähre im Auwald verschwand, doch noch nachwinken, nach vorne an den Steg stürzen und schluchzen! Am Rückweg durch das borstige, die Schienbeine aufritzende Sumpfgras bemerkte Karim gar nicht, dass der Urlauber inzwischen seine Position verändert hatte und Aufnahmen vom Turm machte.
Anna hingegen bekam er nie zu Gesicht, auch wenn er wie zufällig immer wieder vor ihrem Haus vorbeiging, um unabsichtlich in den Garten oder durch eines der Fenster zu blicken. Aber so neugierig er auch war, war er auch froh, sie nicht persönlich zu sehen, denn er hätte nicht gewusst, was er sagen sollte. Auch Emil schien verschwunden zu sein, vielleicht war er schon wieder im Internat in der Stadt, obwohl es dafür noch etwas früh gewesen wäre.
Nach einer Woche bekam der Bürgermeister unerwartet Besuch vom Cheftechniker. Dieser kam rasch zur Sache und legte ihm einen mit Schreibmaschine getippten, mehrere Seiten langen Bericht vor, der anhand allerlei handgezeichneter Grafiken veranschaulichte, dass das Projekt funktioniere. Ernesto hörte zu und sah immer wieder auf die Zettel, wenn er das Gefühl hatte, er müsste Interesse zeigen und deutlich machen, dass er verstünde, was ihm erklärt wurde. Er nickte und brummte hin und wieder, dass das erfreulich sei, großartig oder wunderbar. Als Alina Kekse, Kaffe und einen Krug Wasser mit zwei Gläsern brachte, verstummte der Techniker und der Bürgermeister nickte seiner Frau „Danke, meine Liebe“ murmelnd zu. In der eintretenden Stille las er die Überschriften durch: Kosten-Nutzen Einschätzung, Rentabilitätsbestätigung, Allgemeine Machbarkeitserweiterung, Spezielle Standortsvariablen, Technisches Innovationspotenzial, …
„Das klingt doch gut, oder? Glauben sie, dass bei dem Turm alles passt?“, fragte er vorsichtig in der Annahme, seine Unwissenheit bliebe verborgen.
Der Techniker holte Luft und stockte dann einen Moment, bevor er antwortete: „Auf jeden Fall, Herr Bürgermeister! Alles läuft nach Plan, die Energieausbeute ist besser, als wir gedacht haben! Noch ist es ein Probebetrieb aber bald, schon in ein paar Wochen, werden die Kabel geliefert und wir verlegen Leitungen ins ganze Dorf, so dass alle profitieren. Strom für alle! Und sie werden sehen, bald wird das ganze Land, der ganze Kontinent von St. Stephen reden, alle werden so modern und fortschrittlich sein wollen!“
Der Bürgermeister nickte. Das klang doch gut, und viel blieb nicht mehr zu sagen, also blickte er den Techniker stumm und auffordernd an. Entweder er spricht weiter, oder er geht jetzt wieder, alles andere wäre seltsam, dachte sich Ernesto.
„Einer meiner Mitarbeiter bringt diesen Bericht mit der nächsten Fähre übermorgen in die Hauptstadt. Dann sehen wir weiter. Das wäre alles, Herr Bürgermeister!“
„Ausgezeichnet. Wollen Sie noch ein Keks?“
„Vielen Dank, aber ich muss wieder an die Arbeit.“
7.
Der Herbst hatte die ersten Zugvögel in großen, laut krächzenden Schwärmen über den Himmel nach Süden getrieben und die Blätter in den Auwäldern gefärbt. Mit den Vögeln war auch der Urlauber wieder verschwunden. Das Wasser stand niedrig und der Wind war stärker geworden, er trieb das Laub durch das Dorf und legte im Hafen einen dünnen Sand- und Staubfilm auf das ruhige Wasser zwischen den Anlegestellen. Einige Male war nachts bereits ein Sturm durch die Landschaft gezogen und hatte pfeifend und heulend gezeigt, dass die Natur stark und unnachgiebig war.
Die Menschen ernteten die von Bewässerungskanälen durchzogenen Felder rund um das Dorf in Gemeinschaftsarbeit mit Sensen und Sicheln ab. Das Stroh wurde zu Garben gebündelt und zum Trocknen vorerst dort gelassen, wo es geschnitten worden war, das Getreide wurde gedroschen und teilweise in der kleinen Mühle am Dorfrand gemahlen. Obst wurde eingelagert und getrocknet und aus den schadhaften Früchten wurde unter Maniuls Aufsicht, die auch regelmäßige Qualitätskontrollen miteinschloss, ein scharfer Schnaps gebrannt, der Neulingen beim ersten Schluck kurz den Atem raubte. Den Wert einer Medizin weiß man erst zu schätzen, wenn man wieder gesund wäre, sagte Maniul dazu, und noch nie habe Medizin gut geschmeckt – im Vergleich zu den Tabletten des manchmal bei schwereren Krankheitsfällen gerufenen Arztes aus der nächsten Stadt schmecke der Schnaps geradezu himmlisch, wenn man erst einmal seinen Wert zu schätzen wisse. Er beinhalte die Sonnenenergien eines gesamten Jahres, behauptete der Sicherheitsoffizier, die fröhlichen und aufmunternden Frühlingssonnenstrahlen, die drückende Sommerhitze und die traurige, rötliche Herbstsonne, selbst die fahle Wintersonne sei wohl auch in irgendeiner Form eingefangen; und deshalb sei dieses herrliche Elixier für die rauen, nebligen Wintermonate besonders wichtig. Aus diesem Grund herrschte auch gute Stimmung im Dorf, denn einige destillierten ihren eigenen Schnaps und der musste verkostet werden. Dies war immer schon so gewesen, es war wie ein mehrtägiges Fest am Ende der Erntezeit, wenn alles für die kalte Saison vorbereitet war, ein Fest, bei dem alle Beteiligten in ihren Gartenschuppen saßen und warteten und grübelten, in Alkoholdämpfe gehüllt, die bis auf die Straße drangen und die Gegend in eine erwartungsvolle Ekstase tauchten. Nur selten kam es in diesen Tagen zu Auseinandersetzungen oder Gewalttaten, meistens waren die Männer auf die richtige, ihre geheime und von Generation zu Generation weitergegebene Zusammenstellung der Maische, auf ihre Kessel und Glasröhrchen fixiert, und die Frauen waren froh über die Ruhe – auch wenn es eine trügerische Ruhe war, denn sobald das Endprodukt fertig war, würden sie sich gegenseitig mit dem Geschmack, aber vor allem mit der Stärke ihres Produkts übertrumpfen wollen. Üblicherweise folgten auf die Tage des Schnapsbrennens ein paar Tage, in denen gesoffen, geprügelt und gekotzt wurde, bis es den Leuten wieder zu viel wurde.
In dieses freudige Delirium, das sich wie eine erstickende Decke über das Dorf gebreitet hatte, drang einer der Techniker des Turmes ein. Die vier Männer hatten sich unauffällig zurückgehalten, seitdem die Anlage in Betrieb genommen worden war, und den Menschen war ihre Anwesenheit gar nicht mehr bewusst gewesen. Maniul war gerade bei Francesco, um seinen berühmten Marillenbrand zu inspizieren, als er von draußen lautes Rufen hörte: „Hilfe, Hilfe, wo ist ein Arzt, schnell, helft mir…!“
Er setzte sich seine Mütze auf den Kopf, kontrollierte in der Fensterscheibe ihre korrekte Ausrichtung und machte sich leicht schwankend auf den Weg nach draußen. Was für eine Aufregung, dachte er bei sich, irgendetwas ist immer, muss immer passieren, hoffentlich ist kein Kessel explodiert, das wäre schade! Und gefährlich!
Über die Dorfstraße rannte einer der Techniker aufgeregt mit den Händen fuchtelnd und winkend – als er Maniul erblickte, änderte er seine Richtung und kam direkt auf ihn zu. Als er vor ihm stehenblieb, um Atem ringend, kniff Maniul die Augen zusammen, denn die Sonne war hell nach mehreren Stunden in der Schnapsbrennerei.
„Gut, dass ich Sie finde, Herr Offizier, bitte kommen Sie schnell, es ist etwas Furchtbares geschehen!“
Maniul war ein bisschen übel, er musste sich erst wieder an die frische Luft gewöhnen. Er hätte sich gerne hingesetzt und ein wenig gerastet, aber wie sähe das denn aus! Es schien wichtig zu sein, also sollte er Fassung bewahren, sie besser gesagt zuerst einmal wiederfinden. Maniul sagte nichts, man würde seinen Atem riechen und ihn verdächtigen, im Dienst zu trinken. Stattdessen starrte er den Techniker an, zum Sprechen ermunternd, wie er hoffte.
„Kommen Sie bitte, es ist ein Unfall passiert, wir brauchen ein paar starke Männer und einen Arzt, unseren Cheftechniker hat es erwischt, bitte, schnell!“
Maniul zögerte nicht lange. Eine Entscheidung musste getroffen werden.
„Francesco, komm mal bitte, da ist jemand!“, rief er in das Dunkle des Schuppens hinein, „Da ist jemand, dem wir helfen sollen, also müssen, ja, also ein Unfall…“
Der Schnaps stieß ihm unangenehm auf, und er hätte sich wirklich gerne hingesetzt, zumindest irgendwo festgehalten, vielleicht konnte er sich unauffällig an die Wand lehnen? Francesco erschien in der Tür, wischte sich seine Hände an einem schmuddeligen Tuch und brummte: „Ein Unfall, was? Hm, das ist gerade eine schlechte Zeit, ich habe eben einen neuen Durchgang gestartet, da kann ich nicht so einfach weg, die Qualität, nicht wahr? Was ist denn passiert?“
Als der Techniker, der inzwischen wieder zu Atem gekommen war, ihm mit angstvoll aufgerissenen Augen erzählte, dass sich ein Bauteil des großen Windrades, eine mehrere Meter lange und exakt 1 Meter 85 breite Platte gelöst hatte und genau in dem Moment heruntergefallen war, als der Werksleiter mit dem zuständigen Techniker darunter gestanden und überlegt hätten, wie weiter vorzugehen sei, wurde der Wirt aber aufmerksam. Als ihm der Mann weiter berichtete, dass das Stück die zwei Männer unter sich begraben und vermutlich erschlagen hatte, sie nichts mehr von den Kollegen gehört hätten und zu zweit zu schwach gewesen seien, um es anzuheben, warf er sein Handtuch in den Raum hinter sich, packte den Techniker an der Schulter und wollte losrennen. Rechtzeitig fiel Francesco ein, das Feuer unter dem Kessel nicht unbeobachtet zu lassen, und er öffnete die Klappe und schüttete einen Kübel Wasser hinein. Maniul gab er den Auftrag, zum Bürgermeister zu laufen und ihn zu informieren: sie sollten mit so viel Leuten wie möglich zum Turm kommen. Er wollte mit dem Techniker zurückeilen und unterwegs versuchen, noch ein paar helfende Hände zu finden.
Francesco fand unterwegs noch 2 Männer, die annähernd zurechnungsfähig wirkten, und so waren sie insgesamt schließlich zu fünft, als sie die schwere Platte anhoben. Was sie darunter fanden, lies sie erbleichen: die zwei Arbeiter, der technische Leiter aus der Hauptstadt und der Bruder der Lehrerin, waren tot. Das mit Stahl eingefasste Teil hatte ihnen die Knochen gebrochen und sie erdrückt. Ihr Gewand war an manchen Stellen dunkelrot, auch aus dem Mund und der Ohren tropfte es und im trockenen Sand hatten sich kleine blutige Rinnsale gebildet. Als der Bürgermeister mit einigen Männern eintraf, hatten sie die zwei Toten bereits unter einer Decke verborgen. Da würde kein Arzt mehr helfen, dessen war man sich sicher, und er käme so oder so erst mit der nächsten Fähre. Die Männer schwiegen betreten, und erst nach und nach trauten sie sich, wieder nach Hause zu gehen. Als nur mehr die Arbeiter aus dem Turm, der Bürgermeister, Francesco und Maniul übrig waren, bemerkte der Sicherheitsoffizier, dass er wieder nüchtern war.
In den folgenden Tagen war es ruhig im Dorf. Ein Schnellboot aus der Stadt war gekommen, und drei Männer in Anzügen hatten den Vorfall untersucht. Es schien kein technischer Fehler gewesen zu sein, vielmehr wurde vermutet, bei der Montage sei schlampig gearbeitet worden, nachlässig festgezogene Schrauben, menschliches Versagen also. Sie nahmen das Bauteil sowie den Leichnam des Cheftechnikers mit, verschlossen das Tor der Anlage und sagten dem Bürgermeister, die Angelegenheit würde von Experten an höchster Stelle untersucht werden. Sobald ein Ergebnis vorläge, spätestens in ein paar Wochen, würde er informiert werden. Man hoffe, niemand aus der Siedlung sei in die Sache verwickelt, sollte dies aber der Fall sein, würde es zu einem strengen Verfahren kommen. Bis dahin solle nicht über den Vorfall gesprochen werden. Zu niemandem, betonten sie, schoben sich ihre Hüte in die Stirn und verließen grußlos das Büro.
Karim saß oft auf den Dünen zwischen dem Turm und den Wellen und dachte nach. Alles war anders geworden, aber eigentlich hatte sich Nichts verändert. Anna benahm sich wie immer, als sei nichts gewesen, aber es war nicht mehr wie früher zwischen ihnen, kein aufgeregtes Knistern, nur eine traurige Leere, die er manchmal verspürte, das Wissen um eine vergangene Hoffnung, die nicht erfüllt werden würde. Der Turm war nicht mehr repariert worden, er stand verschlossen und hinter Stacheldraht in der sumpfigen Heide zwischen dem Dorf und der Küste und schien darauf zu warten, wieder in Betrieb genommen zu werden. Anfangs hatte Ernesto noch auf eine Nachricht aus der Hauptstadt gewartet, hatte auch selbst telegrafiert und per Brief angefragt, aber nie eine Antwort erhalten. Nach einiger Zeit, als der Winter schon beinahe vorüber war, hatte er aufgeben und beschlossen, die Sache zu vergessen: ein Turm war schließlich nur ein Turm, und das Leben ging weiter.
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